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Der Burgunden Überfahrt über die Donau (Gerhard Huber)

Vor vielen hundert Jahren, als es noch Geister und Feen und Nixen gab, machte sich der Hofstaat der Burgunder auf, einer Einladung des Hunnenkönigs Etzel in sein Reich nach Ungarn zu folgen. Auf einem Weg entlang der Donau wollte man ins ferne Hunnenland gelangen. Ungefährdet erreichte der Tross unter Führung des Helden Hagen die Donau. Der Strom war hoch angeschwollen und keine Brücke führte ans andere Ufer. Ratlos hielten die Reisenden vor der reißenden Flut, Hagen aber ritt das Ufer entlang und suchte den Fährmann, welcher ihm früher schon einmal über den Strom geholfen hatte.

Da drangen plötzlich das Lachen und Singen schöner Mädchenstimmen an sein Ohr. Leise schlich sich Hagen an und sah zu seinem Erstaunen drei Nixen beim Bade. Es waren Schwanenjungfrauen, wie der Held an den weißen, flockigen Gewändern am Weidenbusch erkennen konnte. Hurtig sprang er hin, bemächtigte sich der Kleider und rief den Nixen zu: „Eure Gewänder sollt ihr wieder haben, doch zuvor sagt mir, was mich und meine Kampfgenossen an Etzels Hof erwarten wird!“ „Ehren und Freuden warten auf Euch“, war die Antwort. Hocherfreut gab Hagen die Kleider zurück, die Nixen aber nahmen ihr Federkleid und erhoben sich in die Lüfte. „Wartet, ihr Schönen!“, rief Hagen, „Ich wünsch noch zu wissen, wo ich den Fährmann finde.“ „Drüben in seiner Hütte“, antwortete eine.

„Herr Hagen“, rief darauf eine andere, „unsere Auskunft war falsch! Keiner von euch wird die Heimat je wiedersehen, außer dem Priester, der den Tross begleitet.“

Hagen vernahm es mit Schaudern, doch machte er sich auf den Weg zum Fährmann. Unter lautem Geschrei und Peitschenknallen wurden die Tiere auf die Fähre geleitet. Dann gingen auch die tapferen Helden an Bord. Nach zehnmaliger Überfahrt standen nur noch die Fürsten und ihr engstes Gefolge am Ufer. Bei dieser letzten Überfahrt aber fasste Hagen einen grausamen Entschluss: „Nun will ich prüfen, ob die Nixen mir die Wahrheit geweissagt haben.“ Er riss den Priester aus seinem Sitze, schwang ihn hoch und warf ihn über Bord. Mit Entsetzen sahen die anderen den rasenden Hagen. Dann starrten alle dem Priester nach, der wohl untergehen würde in den gefährlichen, reißenden Fluten. Aber die Helden staunten nicht schlecht: Der Priester wurde von seinem weiten Gewand über Wasser gehalten und trieb langsam dem rettenden Ufer entgegen. Bald stand er auf festem Boden.

Hagen verfolgte das Geschehen mit grimmigem Lachen. Den Reisegefährten aber erzählte er, warum er den Priester in die Donau geworfen hatte. Und alle schwiegen betroffen, nachdem sie die Unheil verkündende Prophezeiung der Nixen gehört hatten.